Schlaglicht | Ländliche Regionen und die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine nach einem Jahr Krieg

Veröffentlicht am: 07.03.2023
Blogbeitrag Titelbild

„Nachdem unser Landkreis bereits Erfahrungen aus den Jahren 2015 / 2016 hatte, können wir insgesamt sagen, dass wir nichts ‚verlernt‘, sondern ganz im Gegenteil dazugelernt haben: Schon damals wurde in unserem Landkreis gute Arbeit geleistet und davon haben wir nichts eingebüßt, sondern jede:r ist strukturiert und engagiert an die Arbeit gegangen.“
(Heidrun Dräger, Landkreis Ludwigslust-Parchim)

Seit einem Jahr unterstützen Landkreise in Deutschland Menschen, deren Leben wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Kopf steht. Dafür greifen die Kommunen auf Strukturen und Ressourcen zurück, die 2015 etabliert und 2022 reaktiviert wurden (siehe hierzu auch Schammann et al. 2020). Welche sind das und welche neuen Lösungen in Bezug auf die Fluchtzuwanderung aus der Ukraine haben die Landkreise gefunden?

In den Land.Zuhause.Zukunft Landkreisen – hier auf Basis von Erfahrungen aus dem Landkreis Dachau, Landkreis Karlsruhe, Landkreis Ludwigslust-Parchim, Schwalm-Eder-Kreis und Landkreis Waldeck-Frankenberg – gelingt die Unterbringung und (Erst-)Versorgung durch eine enge Zusammenarbeit innerhalb der Behörden und aufgrund des hohen Engagements der einzelnen Mitarbeiter:innen sowie durch eine enorme Hilfsbereitschaft von Seiten der Zivilgesellschaft. Neben Sachspenden, vielfältigen Beratungs- und Betreuungsangeboten, Sprachkursen und der Bereitstellung von privatem Wohnraum durch ehrenamtliche Unterstützer:innen konnten viele Geflüchtete aus der Ukraine (erst)versorgt werden.

„Natürlich gab es auch Konflikte und nicht immer lief alles glatt. Jedoch sind auch viele Freundschaften entstanden.“
(Andre Teumer-Weißenborn, Schwalm-Eder-Kreis)

Insbesondere das große Engagement von russischen oder ukrainischen Muttersprachler:innen wird von den Vertreter:innen der Land.Zuhause.Zukunft Landkreise positiv hervorgehoben. Im Landkreis Dachau wurden für ehrenamtliche Engagierte extra feste hauptamtliche Stellen für Dolmetschende (ukrainisch, russisch) geschaffen und besetzt.

Die Land.Zuhause.Zukunft Landkreise arbeiten weiterhin eng mit Vereinen und Verbänden, die zu großen Teilen bereits im Rahmen der Fluchtzuwanderung 2015 / 2016 tätig waren, zusammen. Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hat zur Unterstützung dieser Vereine und Verbände für das Haushaltsjahr 2022 zusätzliche Mittel vorgesehen.

Der Landkreis Karlsruhe unterstützt darüber hinaus die betroffenen Geflüchteten und ihre ehrenamtlichen Unterstützer:innen durch den offenen Zugang zu Informationen. Hierfür stellt die Kreisintegrationsstelle bereits seit 2020 die Integreat App als mehrsprachigen digitalen Guide für alle Lebensbereiche im Landkreis zur Verfügung. Des Weiteren wurden bestehende analoge Formate wie z. B. Austausch- und Vernetzungstreffen für Ehrenamtliche auf die aktuellen Bedarfe hin angepasst.

„Unsere Vernetzungsangebote ermöglichten ein gegenseitiges Empowerment der neuen Ehrenamtsgruppe, aber auch den Brückenbau zum Hauptamt. Beides hilft mit den Herausforderungen umzugehen, die eine Aufnahme von Geflüchteten in den eigenen vier Wänden mit sich bringen kann.“
(Myriam Brunner, Landkreis Karlsruhe)

Zum Thema Spracherwerb setzen die Programmlandkreise auf niedrigschwellige Deutschkurse. Zwar besitzen die Menschen aus der Ukraine formal die Möglichkeit, an Integrationskursen teilzunehmen, die Kapazitäten bei den Trägern und Lehrkräften können aber den Bedarf nicht decken. Auch hier unterstützen ehrenamtlich Engagierte und bieten Deutschkurse an. Als Unterstützung hat der Landkreis Ludwigslust-Parchim „Mini-Sprachführer“ auf Ukrainisch-Deutsch drucken lassen, die über die Betreuungsdienste sowie über ehrenamtlich Engagierte verteilt und von den Ukrainer:innen sehr gut angenommen wurden.

„Die ‚Integrations-Fortschritte‘ von aus der Ukraine geflohenen Menschen sind z.T. durchaus beachtlich. Sowohl in Bezug auf die Motivation und die Ergebnisse beim Erlernen der deutschen Sprache (ehrenamtliche und hauptamtliche Deutschkurse), aber auch beim Finden einer eigenen Wohnung und einer bezahlten Arbeit.“
(Julius Fogelstaller, Landkreis Dachau)

Gleichzeitig stellen die aktuellen Maßnahmen eine Belastung für die Mitarbeitenden und ehrenamtlichen Helfer:innen dar.

„Die Unterbringung der Geflüchteten gelingt aktuell noch durch den großen Einsatz aller Beteiligten, allen voran der Kreiskommunen. Die derzeit vorhandenen Kapazitäten sind jedoch endlich und dieses Ende ist bereits in Sicht.“
(Myriam Brunner, Landkreis Karlsruhe)

Damit Landkreise ihre Strukturen, Ressourcen und Stärken weiterentwickeln können, um auch in Zukunft Schutzsuchende angebracht versorgen und langfristig integrieren zu können, braucht es einen dauerhaften Dialog zwischen Bund, Ländern und Kommunen – darin sind sich die Land.Zuhause.Zukunft Landkreise einig.

„Flucht und Migration bleiben Themen der Zukunft. Dem sollte Rechnung getragen werden. Integrationsarbeit sollte als Aufgabe mit rechtlich festgelegten Zuständigkeiten, ausreichend gesicherten finanziellen Mitteln und definiertem Tätigkeitsumfang formuliert werden. Integration ist eine Muss-Aufgabe und darf nicht dem Zufall und dem Good-will Einzelner überlassen werden.“
(Myriam Brunner, Landkreis Karlsruhe)

Bestehende Förderprogramme z. B. für landesgeförderte Sprachkurse oder Integrationsmanagement waren in der Aufnahme der Schutzsuchenden bereits sehr hilfreich. Konkrete zusätzliche Unterstützung von Ländern und Bund fordern unsere Programmlandkreise in den folgenden Bereichen: Personalgewinnung und personelle Unterstützung in Phasen hoher Belastung, nachhaltige Finanzierungskonzepte, Ressourcen und Ideen zur Förderung selbständigen Wohnens, gerechtere Aufgabenverteilung zwischen verschiedenen Ebenen sowie dem weiteren Abbau von rechtlichen und faktischen Hürden beim Zugang zu Integrationskursen und Arbeit.

Verwaltung und Zivilgesellschaft in ländlichen Regionen Deutschlands sind auch nach einem Jahr weiterhin motiviert, sich für die Aufnahme und Integration einzusetzen. Doch das Engagement kostet Kraft. Mitarbeitende brauchen für diesen Marathon die Unterstützung ihrer Verwaltungsspitzen, aber eben auch von Bund und Ländern.