Kommentar | Mehr Business ins Engagement!
Komplexe gesellschaftliche Herausforderungen brauchen keine einfachen Antworten, sie benötigen integriertes Handeln mit Blick auf systemische Zusammenhänge. Dies bedeutet für Organisationen bspw., dass sie ihre Strategie auf wirkungsorientierte Ziele ausrichten und dabei die eingesetzten Ressourcen (Zeit, Kapital etc.) mit den erreichten Wirkungen in Bezug setzen müssen (sog. Performance Management). Dieser aus der Wirtschaft stammende Ansatz kann auch im Non-Profit-Sektor und damit in der Integrationsarbeit Anwendung finden. Diese beruht zu großen Teilen auf Freiwilligkeit und Engagement, denn sie ist eine freiwillige Aufgabe der Kommunen in Deutschland und wird in ihrer Umsetzung stark von – oft ehrenamtlichem – Engagement getragen.
„Integration kann nur gelingen, wenn dafür Ressourcen bereitgestellt werden“, so lautet der erste Satz der Kurz-Expertise „Alles Gold, was glänzt“, die sich mit Förderbedarfen und -realitäten in der Integrationsarbeit in ländlichen Räumen auseinandersetzt. Dies ist unzweifelhaft richtig. Doch lohnt sich auch ein Blick auf die Förderempfänger:innen, die lokalen Akteur:innen, und die Frage, wie sie sich besser im Wettbewerb um knappe Ressourcen positionieren können – welche Kompetenzen benötigt werden, um größere Nachhaltigkeit in allen Dimensionen zu erreichen.
Auch Ehrenamtlichkeit und Engagement erfordern Professionalität in der Organisation, vor allem unternehmerische Qualitäten. Diese Verbindung zwischen Unternehmertum und Engagement gehen die Sozialen Unternehmen ein. Doch gesellschaftliches Engagement, Integrationsarbeit als unternehmerische Betätigung? Dies wirkt zunächst oft abschreckend. Aber letztlich ist eine Bedarfsorientierung ohne Marktanalyse (u. a. Bedarf, andere Anbieter:innen, Zielgruppen, Finanzierung) unvollständig, mittelfristige Planungen bedürfen Zielbeschreibungen und zeitlicher Rahmensetzung (und auch Exit-Szenarien), ein Kostenplan ist plausibler, wenn er sich an Businessplänen orientiert, und eine Weiterförderung ist wahrscheinlicher, wenn sie auf definierten und messbaren Wirkungszielen beruht. Ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Beschäftigungen sind auch Produkte und Dienstleistungen – für die und an der Gesellschaft. Eine unternehmerische Herangehensweise kann die Asymmetrie im Verhältnis zu Geldgeber:innen und Förder:innen reduzieren, dies wird bspw. bei Digitalisierung und technologischem Wandel deutlich, wenn Geförderte über die Expertise verfügen, die dringend von den Mittelgeber:innen benötigt wird und auf dem freien Markt nicht kostendeckend erhältlich ist. Die Tür an Tür gGmbH entwickelte 2016 mit Integreat eine digitale Integrationsplattform bestehend aus offline-nutzbarer App, Webseite und PDF-Broschüre. Sie wurde als quelloffenes Projekt gemeinsam mit Kommunen zum Sammeln von regional-relevanten Informationen allgemein für Zugewanderte oder spezifisch für Fachkräfte oder Geflüchtete entwickelt und kommt mittlerweile in mehr als 60 Städten und Landkreisen zur Anwendung.
Was wird eigentlich unter Sozialunternehmertum (Social Entrepreneurship) verstanden? In Deutschland gibt es überraschenderweise keine offiziell anerkannte Definition oder Rechtsform, anders als in den USA, Kanada, Italien (bereits seit 1991), Frankreich oder Großbritannien (welche beide nationale Aktionspläne für Sozialunternehmertum haben) – was durchaus von Vorteil sein kann, um Kategorisierungen und Silodenken zu vermeiden. Daher dient die Definition des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland als Orientierung:
„Das primäre Ziel von Social Entrepreneurship ist die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Dies wird durch die kontinuierliche Nutzung unternehmerischer Mittel erreicht und resultiert in neuen und innovativen Lösungen. Durch steuernde und kontrollierende Mechanismen wird sichergestellt, dass die gesellschaftlichen Ziele intern und extern gelebt werden.“
Dies geschieht in drei Dimensionen: gesellschaftlich (orientiert an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN), wirtschaftlich (durch die Verwendung unternehmerischer Mittel) und in der Steuerung (z. B. Reinvestition der Gewinne statt Ausschüttung an die Anteilseigner). Der Unterschied zur klassischen Wirtschaft besteht vor allem darin, dass im Sozialunternehmertum das Erzielen von Gewinnen hinter die Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen tritt. Dabei nutzen Sozialunternehmen diverse Finanzierungsquellen und oft mehrere parallel: neben Umsätzen aus Dienstleistungen und dem Vertrieb von Produkten können dies auch Investitionen, private Fördergelder, Spenden, staatliche Transferleistungen oder Crowdfunding sein.
Eine Abgrenzung zum zivilgesellschaftlichen Sektor der Non-Profit-Organisationen ist hingegen nicht notwendig, denn schließlich sind die meisten Sozialunternehmen in ihrer Gemeinwohlorientierung, ihrem Streben nach sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und ihrer partizipativen Governance ebenso wie in ihren Rechtsformen integraler Bestandteil zivilgesellschaftlichen Handelns und Wirkens.
Die Diversität dieses Sektors stellt der 3. Deutsche Social Entrepreneurship Monitor anschaulich dar. Es beginnt bei der Rechtsform: da diese in Deutschland ungeklärt ist, ordnen sich Sozialunternehmen sowohl gewerblich orientierten Rechtsformen (z. B. (g)GmbH, (g)UG, GbR), als auch sozial orientierten Rechtsformen (bspw. e. V., Genossenschaft, Stiftung) zu. Nicht selten sind sie auch hybrid, d. h. sie verfügen über mehrere juristische Entitäten, um das Soziale und das Unternehmerische abzubilden und kompatibler für unterschiedliche Einnahmequellen zu sein.
Denn auch diese sind meist hybrid: Einnahmen werden sowohl über Marktaktivitäten (Verkauf von Produkten und Dienstleistungen) als auch über Nicht-Marktaktivitäten (Spenden und Fördermittel) erzielt. Neue Instrumente der Förderung, wie z. B. Crowdfunding, finden oft bei sozialen Innovationen Anwendung, aber auch Eigenmittel (bspw. Mitgliedsbeiträge) und die nicht-monetären Zuwendungen wie ehrenamtliche Tätigkeiten, Pro Bono-Leistungen von Partner:innen oder Corporate Volunteering (betriebliche Freiwilligenprogramme, bei denen Mitarbeiter:innen eines Unternehmens Arbeitszeit für gemeinnützige Zwecke verwenden dürfen) sind von Bedeutung und zeigen die starke Verflechtung mit dem traditionellen Engagement auf. Die gGmbH Yeşil Çember (türk. „Grüner Kreis“) entwickelt niedrigschwellige Alltagsangebote im Umweltschutz für Menschen mit Migrationshintergrund, denn diese werden bislang wenig von deutschen Umwelt-Akteur:innen erreicht – dabei greift sie überwiegend auf von ihr geschulte Ehrenamtliche zurück. Zudem setzt sich die Organisation verstärkt für die Umsetzung von ökologischen Standards in deutsch-türkischen Unternehmen ein.
Was eine sozialunternehmerische Handlungsweise besonders auszeichnet, sind das Streben nach (sozialer) Innovation, die Wirkungsorientierung, Inklusion und Partizipation der Mitarbeiter:innen und Zielgruppen und Anpassungsfähigkeit gegenüber sich ändernden Bedingungen. Die häufigsten Branchen für Sozialunternehmer:innen sind „Erziehung und Unterricht“, „Gesundheits- und Sozialwesen“ sowie „Information und Kommunikation“, womit sich große Schnittmengen mit den Akteur:innen aus der Integrationsarbeit ergeben. Dies trifft auch auf die Zielgruppen sozialunternehmerischen Handelns zu, bei denen z. B. Menschen in ländlichen Regionen oder Geflüchtete und Asylsuchende zu den wichtigsten gehören. Die Wirkungsempfänger:innen werden oft in die Steuerung der Organisation und den Produktions- und Dienstleistungsprozess involviert, dies trägt zur Integration benachteiligter Gruppen unter den Zugewanderten in die Arbeitswelt bei.
In der Covid-19 Pandemie zeigten sich sozialunternehmerische Ansätze resilienter gegen die Auswirkungen der Krise, da sie Flexibilität und Anpassung in ihren Geschäftsmodellen gewohnt sind. So gelang es der Schneidermanufaktur Stitch by Stitch in Frankfurt, die geflüchteten professionellen Schneiderinnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht und durch lokale Produktion auch zur Verringerung des CO2-Ausstoßes in der Modeindustrie beiträgt, durch Umstellung auf Maskenproduktion und Online-Handel die Arbeitsplätze zu erhalten.
Ein Kernelement von Social Entrepreneurship ist die Messung, Analyse und Dokumentation der eigenen gesellschaftlichen Wirkung. Dies trägt maßgeblich zur Verankerung des Gemeinwohls in der Organisation bei, erleichtert die Berichterstattung und Überzeugungsarbeit gegenüber Stakeholdern (insb. den Förderern und Finanziers) und kann eine potenzielle Zielveränderung verhindern.
Neben der Wirkungsmessung ist die Frage des Wachstums eine entscheidende Planungsgröße und damit oft ein Unterschied zu herkömmlicher gesellschaftlicher Engagementarbeit. Oft wird Wachstum als Mittel betrachtet, die soziale Wirkung zu steigern – dies geschieht im For-Profit-Bereich bspw. durch Kooperationen mit anderen Akteur:innen, im Non-Profit-Sektor teilweise durch Social Franchising (die Verbreitung eines gemeinwohlorientierten Konzepts durch organisationsfremde Träger:innen). Ein gelungenes Beispiel für erfolgreiche Skalierung durch Franchising ist die 2012 in Paris gegründete Organisation SINGA (kongolesisch „Verbindung“), die seit 2016 gefördert von der Robert Bosch Stiftung als gUG auch in Deutschland vertreten ist. Um soziale Innovation zu erzielen, ist SINGA als Laboratorium angelegt, in dem Lösungen gemeinsam entwickelt werden. Der wechselseitige Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wissen unter Einheimischen und Neuangekommenen soll eine Neudefinition der derzeitigen Praxis von Integration (mit Fokus auf Arbeitsmarkt) ermöglichen.
Doch auch hybride Finanzierungsansätze sind kein Allheilmittel, sie lösen nicht die größten Herausforderungen dieser Unternehmen: die schwer nachvollziehbare Vergabe von öffentlichen Mitteln, das Fehlen gezielter Anschlussfinanzierungen und mangelnde Startfinanzierungen bedeuten auch für sie große finanzielle Hürden.
Noch ist Sozialunternehmertum in Deutschland überwiegend im großstädtischen Sozialraum angesiedelt, aber dies bedeutet zugleich enormes Entwicklungspotenzial in ländlichen Räumen. Daher entdecken immer mehr Initiativen ländliche Räume für Skalierungen, wie z. B. Über den Tellerrand kochen e. V., der seit 2013 u. a. mit gemeinsamen Kochevents dazu beiträgt, dass die Integration und soziale Teilhabe von Menschen mit Fluchterfahrung in der Gesellschaft gelingen, und nach seinem Start in Berlin durch Skalierung mittlerweile auch Kleinstädte erschließt. Zudem bieten digitale Formate einfachere und anwenderorientierte Kommunikationsmöglichkeiten in den Regionen: auf der interaktiven Plattform der Wefugees gUG können sich Geflüchtete und Helfende rund um das Thema Ankommen in Deutschland austauschen und informieren, damit Geflüchtete selbstständig ihr neues Leben beginnen und konventionelle Hilfsprogramme entlastet werden.
Keine Furcht vor ungewohnten Begriffen und Herangehensweisen! Unternehmerisches Handeln kann, wenn es gemeinwohlorientiert und nachhaltig ist, soziale Innovationen und gesellschaftliche Wirkung auslösen. Einstieg und Umdenken werden durch vielfältige Beratungsangebote unterstützt, z. B. hat die Agentur Social Impact gGmbH eine kostenfreie Online-Lernplattform für soziale Innovation im ländlichen Raum ins Leben gerufen.
Markus Lux