Forschungsbericht | Integration als Pflichtaufgabe: Holzweg oder Königsweg zu krisenfesten kommunalen Strukturen?
Sollte und könnte Integration kommunale Pflichtaufgabe werden? Mit dieser Fragestellung befasste sich eine Studie der Universitäten Hildesheim und Erlangen von August 2023 bis Februar 2024, deren Ergebnisse nun vorliegen. Gefördert wurde das Projekt von der Bundesbeauftragten für Integration. Gemeinsam mit ihr wurden die Ergebnisse am 19.02. in Mainz vorgestellt.
Die Studie füllt das Schlagwort von der „Pflichtaufgabe Integration“ inhaltlich mit Leben. Sie übersetzt vage Zielvorstellungen in abgrenzbare Aufgaben und ordnet die Machbarkeit rechtlich ein. Damit liefern die Autor:innen Boris Kühn, Hannes Schammann und Petra Bendel zunächst einen etwas ernüchternden Realitätscheck, denn die Einführung einer neuen, weit gefassten Pflichtaufgabe Integration verbinden vor allem Integrationsfachleute in Kommunalverwaltungen mit großen Hoffnungen. Ihnen führt die Studie einerseits vor Augen, was Pflichtaufgaben nicht leisten oder sichern können und welche Aspekte sich für eine Pflichtigkeit nicht eignen. Andererseits macht die Analyse aber auch den Skeptiker:innen deutlich, dass man die Debatte nicht vorschnell zu den Akten legen sollte: Es liegt durchaus Potenzial in der Einführung bestimmter Pflichtaufgaben im Integrationsbereich.
Was die rechtliche Verankerung angeht, wären die Länder gefragt: Der Bund kann den Kommunen keine neue Pflichtaufgabe auftragen („Durchgriffsverbot“ nach Art. 84 und 85 GG), selbst wenn das Argument einer größeren Einheitlichkeit von Strukturen bzw. von gleichwertigen Lebensverhältnissen für Zugewanderte herangezogen wird. Eine Pflichtaufgabe Integration könnte es daher im Grunde nur in 16-facher Ausführung in den einzelnen Bundesländern geben.
Eine Rolle des Bundes ist gleichwohl denkbar: Der 2023 vereinbarte Kompromiss der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bund über die Kosten der Flüchtlingsaufnahme (Einführung einer „Kopfpauschale“) bietet sogar einen konkreten Anknüpfungspunkt. Die dort vereinbarte Regelung gilt unbefristet und stellt damit im Grundsatz bereits eine dauerhafte Mitfinanzierung des Bundes innerhalb eines „atmenden Systems“ dar. Der Beschluss umfasst zudem ohnehin einen Sockelbetrag zum Erhalt nötiger Infrastruktur zur Flüchtlingsaufnahme. Es wäre zumindest vorstellbar, den Gegenstand der Vereinbarung zum Sockelbetrag auf die gesamte Neuzuwanderung zu erweitern und ihn aufzustocken, um Kernaufgaben kommunaler Integrationsarbeit weitgehend abzudecken. Hierzu müssten sich die Länder einerseits verpflichten, behielten aber anderseits Entscheidungsspielräume bei der Implementierung und Schwerpunktsetzung.
Die Definition konkreter pflichtiger Aufgaben wird durch den Querschnittscharakter und die Komplexität des Integrationsbegriffs erschwert. Die Frage nach der Pflichtaufgabe hängt somit auch an der Frage, wie die Aufgabe Integration überhaupt zu verstehen ist und welchen Weg Kommunalverwaltungen gehen (sollten), um sie bestmöglich zu meistern. Dies betrifft besonders die Debatte darum, wie wirksam und wie realistisch eine migrationssensible Öffnung aller Regelabteilungen der Verwaltung ist, und wofür Sondermaßnahmen und Fachabteilungen erforderlich sind, die Integration fokussieren. Dabei geht es am Ende nicht um ein Entweder-oder, sondern eher darum, wieviel Integrationsarbeit im unmittelbaren Sinne – und mit welchem Auftrag – es braucht, damit man dem Ideal einer für die Migrationsgesellschaft geöffneten und kompetenten Gesamtverwaltung möglichst nahekommt – ohne diese aus der Verantwortung zu nehmen und ohne sie zu überfordern.
In diesem Sinne sollten diejenigen unmittelbaren Integrationsaufgaben und Stellen den Kern kommunaler Integrationsarbeit bilden, die auf das erfolgreiche Zusammenspiel von Mainstreaming und Sondermaßnahmen zielen. Auf Basis der Literatur und zahlreicher Expert:inneninterviews arbeitet die Studie dafür die folgenden Bausteine heraus:
Koordination: Unverzichtbar für eine Steuerung von Integrationsmaßnahmen sind dauerhaft eingerichtete Stellen oder Abteilungen, die migrationsspezifisches Wissen bündeln, Fachabteilungen beraten, Sondermaßnahmen initiieren und konzeptionelle Grundlagen für die Entwicklung der kommunalen Integrationsarbeit leisten.
Planung: Die Verantwortung der Gesamtverwaltung betonen und gleichzeitig die koordinierenden Stellen stärken könnte ein verbindlicher Planungsauftrag, der eine Bestandsaufnahme, Maßnahmenentwicklung und eine Auseinandersetzung mit ihrer Wirkung beinhaltet, ähnlich wie dies im Bereich der Jugendhilfeplanung der Fall ist.
Fallberatung: Verknüpft werden könnten die notwendigen strategischen Aufgaben mit einer Fallberatung für Neuzugewanderte, wie sie beispielsweise im Förderprogramm KIM in NRW existiert. Eine Fallberatung ließe sich an einen individuellen Rechtsanspruch koppeln, wodurch eine Pflichtaufgabe mit hoher Verbindlichkeit entstünde. Gleichzeitig ist dieser Baustein im Gegensatz zu Koordination und Planung inhaltlich umstrittener und würde zudem zahlreiche Abgrenzungsfragen zu bestehenden Strukturen aufwerfen.
Neben einer Pflichtigkeit dieser Kernaufgaben der Integrationsarbeit könnten Ergänzungen in bestehenden Pflichtaufgaben ein vierter Baustein sein: Es gibt eine Reihe von kommunalen Aufgaben, deren Beschreibung die Realität einer durch Migration geprägten Gesellschaft noch nicht ausreichend reflektiert. Hier nachzusteuern, sollte aber nicht Inhalt einer neuen Pflichtaufgabe Integration sein, die in andere Bereiche „hineinregiert“. Entsprechende Veränderungen sollten in den bestehenden Gesetzen und Verordnungen eingefügt werden.
Unabhängig von der gewählten Ausgestaltung – diskutiert wird in der Studie auch die Alternative einer dauerhaften Förderung – sollte abgewogen werden, auf welcher kommunalen Ebene Aufgaben und Stellen angesiedelt werden. Die Rolle der kreisangehörigen Ebene, insbesondere größerer kreisangehöriger Städte, sollte nicht aufgrund rein pragmatischer Erwägungen der Übersichtlichkeit unterschätzt werden.
(Der Beitrag basiert auf der Studie „Integration als Pflichtaufgabe: Holzweg oder Königsweg zu krisenfesten kommunalen Strukturen?“, von Hannes Schammann, Boris Kühn und Petra Bendel. Gefödert wurde die Studie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die Studie können Sie hier lesen.)
Boris Kühn